„…sie war stolz und übermütig und konnte nicht leiden, daß sie an Schönheit von jemand sollte übertroffen werden,“ so heißt es im Märchen, und sie „erschrak … und ward gelb und grün vor Neid,“ heißt es weiter, als ihr wunderbarer Spiegel ihr verkündete, dass Schneewittchen – mittler-weile siebenjährig – tausendmal schöner sei. „Und der Neid und Hochmut wuchsen wie ein Unkraut in ihrem Herzen immer höher, daß sie Tag und Nacht keine Ruhe mehr hatte.“
Wir wissen was passiert. Sie diktiert einen Auftragsmord und wird, nachdem dieser vereitelt wird, selbst tätig. Was treibt sie nur an? Woher dieser Hass, dieser Vernichtungsdrang? Was reicht ihr nicht?
Vordergründig geht es um Schönheit. Davon nun hat sie selbst.
Hat Schönheit, aber ist sie auch schön? – Bedingt!
Schönheit ist vergänglich. Ich kann sie variieren, ein Faktum, dem sich die ganze Branche der Modeindustrie voller Enthusiasmus hingibt – verdient sie doch daran ganz prächtig. Aber ich kann sie nicht steigern. Schön ist schön. Sehr wohl aber kann sie abnehmen. Der hohle Zahn der Zeit nagt an ihr. Gebe ich mich dem mit Gelassenheit und Würde hin, lebe das Leben, wie es mir in all seinen Wechselfällen entgegenkommt, entsteht das, was gemeinhin als Charme bezeichnet wird. Und wer wollte Charme Schönheit absprechen?
Unsere Königin, die immer wieder ihren Spiegel befragt, ist endlos weit entfernt von einer Bewusstheit, die den Spiegel als das nutzen kann, was er ist: Klar und leidenschaftslos wiedergebendes Instrument, in dem ich mich anschaue und erkenne. Bei ihr wandelt sich der tägliche Blick zur Selbstbespiegelung des GROEGAZ, des größten Ego aller Zeiten. Sein lässt sich nun mal nicht über Haben definieren und so bemüht sie jetzt ihre vermeintliche Macht, sendet den Jäger aus, die Stieftochter zu morden. Im Zerrspiegel ihres Selbstwertdefizits wird ihre tatsächliche Ohnmacht sichtbar.
Bei Peter Bamm finden wir die köstliche Szene, in der Aphrodite dem Paris einen visionären Blick auf Helena freigibt, wenn er denn den Apfel ihr, der Göttin der Schönheit, dediziere. Paris schaut sein Preisschäfchen an und seufzt aus der Erstarrung von Helenen’s Schönheit erwachend: „Wenn sie doch nur ein einziges Sommersprösschen hätte.“ Aphrodite soll stinksauer gewesen sein, weil eine Sterbliche ihr die Schau stehlen konnte – aus der Story von Eros und Psyche hatte sie ganz offensichtlich nichts gelernt – und warf des Menelaos Frau eine ganze Handvoll Sommersprossen ins Gesicht. Jetzt war es um Paris geschehen und der Trojanische Krieg fand statt.
Heinrich Schliemann soll vor Troja jede Menge unversehrter Spiegel gefunden haben.
Hanswerner Herber