„Seid ihr alle da?“ – „Seid ihr alle da?“ – Noch ein paar Mal sollte diese Frage erklingen und erst wenn sie aus johlendem Kindermund mit der nötigen Lautstärke bejaht wurde, konnte das Kasperletheater beginnen. Jetzt war die Nähe hergestellt. Jetzt war die Gruppe da unten angefacht und der Puppenspieler hinter der Bühne von der Begeisterung des „Jaaa!“ angefeuert. Jetzt war Nähe hergestellt.
Nähe also ist wesentlich für das Zustandekommen einer Begegnung. Umkehrschluss: Distanz verhindert die Begegnung oder erschwert sie zumindest. Ist das so? Brauche ich wirklich die körperliche Nähe? Und wie nah ist nah? Taktil? Intim? Sozial? Persönlich? Öffentlich?
Ist die Präsenz des Schauspielers für den Zuschauer im Parkett höher als für den im 3. Rang? Und wieso kann mich die Actrice auf der Leinwand emotional erreichen oder die Protagonistin in der Druckerschwärze eines Buches?
Demnach gibt es auch eine geistige Nähe, etwas, was mich in meinem Inneren trifft und betroffen macht. Ohne ausreichende Nähe ist es nicht möglich, dass mich die Regungen des Du oder einer meiner inneren Personen mich auch wirklich erreichen.
Was aber nun dazu führen kann, dass das Nähe- und Distanzverhalten mehr oder weniger gestört ist, wird schon in den frühen Lebensjahren angelegt. Gemeinhin wird heute angenommen, dass wir das Drehbuch unseres Lebens unter dem Einfluss der frühen Bezugspersonen selber schreiben und dass es um das 5. Lebensjahr alle wesentlichen Kapitel enthält. Skriptanalysen zeigen uns, dass unser persönliches Erleben der Ereignisse und Begegnungen in den folgenden Jahre zu einem Bild der „Wirklichkeit“ zusammenfließen, die diesem Skript genügen und nur noch variiert werden – zumindest so lange uns unser Lebensplan unbewusst ist. So wird verständlich, dass die zunächst intrapsychische Thematik des Skripts sich dann auch in der interpersonellen Begegnung, im Dialog und in der Beziehungsgestaltung manifestiert.
Und? Lassen sich Lebenspläne verändern?
Klar! Das Drehbuch sieht vor, dass wir uns das in „Begegnung, die dritte“ anschauen. Wer Lust hat, trifft mich am nächsten Mittwoch am gleichen Ort…
Hanswerner Herber