So lautet das Motto der ersten Woche der 62. Lindauer Psychotherapiewochen und der Eröffnungsvortrag wird die Frage aufwerfen: Warum ist die Intuition plötzlich so en vogue – geradezu ein Allerweltsheilmittel geworden? Ist das eine Reaktion auf die lange übliche Verachtung des wissenschaftlichen Denkens der Intuition gegenüber? Fürchten wir neuerdings, statt intuitiv-schöpferischen TherapeutInnen nur noch reproduktive TherapeutInnen auszubilden, die sich an bewussten Regeln ausrichten – und halten dem die Intuition entgegen? Der Begriff der „Intuition“ ist verschwommen, die Gebiete, die sie abdeckt, sind weit.
Ich bin gespannt, was ich aus dieser Woche mitbringe und welche Konsequenzen das für die Einzel- und Gruppenarbeit bedeutet.
intueri (lat.) heißt: betrachten, erwägen. Als Deponens hat es eine passive Seite: angeschaut werden = Eingebung, ahnendes Erfassen. Der Duden definiert es als die Fähigkeit, Einsichten in Sachverhalte, Sichtweisen, Gesetzmäßigkeiten oder die subjektive Stimmigkeit von Entscheidungen zu erlangen, ohne diskursiven Gebrauch des Verstandes, also etwa ohne bewusste Schlussfolgerungen.
In der Psychologie des Carl Gustav Jung ist die Intuition eine von vier psychologischen Grundfunktionen. Er unterscheidet vier Bewusstseinsfunktionen, nämlich Denken, Fühlen, Empfindung und Intuition. Bei jedem Menschen dominiert in der ersten Lebenshälfte eine der vier Funktionen.
Mit der dominierenden Funktion richtet sich der Mensch im Leben ein. C. G. Jung nennt sie „superiore Bewusstseinsfunktion“. Diese wird unterstützt durch eine auxiliäre (helfende)Funktion. Die beiden anderen Funktionen sind mehr oder weniger unbewusst. Sie bilden daher die unbewusste Disposition zu den beiden bewussten Funktionen und werden minore Funktionen genannt. C. G. Jung unterscheidet zwischen wertenden und wahrnehmenden Bewusstseinsfunktionen. Wertend sind Denken und Fühlen. Denken wertet in Begriffen richtig und falsch, Fühlen nach „angenehm“ und „unangenehm“. Demgegenüber werten Empfindung und Intuition nicht sondern nehmen wahr. Die Empfindung nimmt mit den Sinnesorganen die Welt wahr wie sie ist, die Intuition die verborgenen Möglichkeiten, die in den Dingen liegen. C. G. Jung unterscheidet aber nicht nur unter vier Bewusstseinsfunktionen sondern auch zwischen zwei Bewusstseins-Einstellungen, zwischen Extraversion und Introversion. Der extravertierte Mensch orientiert sich an den äußeren Bedingungen und Normen, am Zeitgeist, an dem, was gerade „in“ ist, der introvertierte Mensch primär an seinen psychischen Bedingungen, an seiner Innenwelt mit ihren Bildern und Symbolen.
Vier Grundfunktionen und vier Mischformen (Intuitives und empirisches Denken sowie empfindendes und intuitives Fühlen) in jeweils intra- bzw. extravertierter Erscheinungsform entsprechen 16 Ausprägungen.