Gewissheit

Gewissheit ist subjektiv, Wissen dagegen objektiv. Sollte man meinen. Spielen wir es mal durch.

Ich bin mir gewiss, dass mein Hund eine Seele hat. Nach meiner subjektiven Überzeugung ist das wahr. Cora, die eben noch auf dem Rücken liegend, über ein Blues-Album von Chris Rea eingenickt war, hat sich in Bauchlage gewälzt und ratzt, den Kopf zwischen den Vorderpfoten abgelegt, nach einem tiefen Seufzer weiter. In dem Moment, in dem ich diesen Satz schreibe, schaue ich kurz von der Tastatur auf und ihr in die geöffneten Augen, in die offenen Augen, in die wissenden Augen, in denen ich mich vollständig bestätigt finde: ich bin mir gewiss.

Ich weiß, dass Aquino, den Tieren die Seele abgesprochen hat. Das findet sich in seinen Schriften und auch in der Sekundärliteratur. Die Scholastik hat sich lieber mit der Frage beschäftigt, wieviel Engel man auf der Spitze einer Nähnadel unterbringen kann, auch wenn sie dazu gar nichts wissen konnte.

Fassen wir mal zusammen: Gewissheit ist die subjektive Überzeugung eines Menschen, dass etwas wahr ist, Wissen dagegen der objektive Konsens, dass etwas wahr ist. Diese Abgrenzung macht Sinn, wird aber leider im ganz gewöhnlichem Wahnsinn der alltäglichen Aussagen zum Problem. Warum? Weil die subjektiven Eindrücke, die zu meiner Gewissheit führen, mit der objektiven Rechtfertigung, die Wissen ausmachen, munter durcheinander gewürfelt werden. Beweis: Das Subjekt objektiviert seine Eindrücke. Wie macht es das? Es sagt: Ich weiß es ganz genau, mein Hund hat es mir bestätigt.

Statt: Ich bin mir dessen gewiss, aber wirklich wissen tue ich es nicht, wird laut getönt: Ich weiß es, weil ich mir dessen gewiss bin.

Wir klug und kritisch Urteilenden – also ich und du – runzeln die Brauen, schürzen die Lippen, rümpfen wohl auch ein wenig die Nase über das sprachlich unkorrekte gemeine Volk.

Das sollten wir nicht tun. Gerade nämlich tritt die geliebte Frau an meiner Seite durch die Tür und nähert sich eben dieser, meiner Seite. Sie haucht mir einen Kuss auf die Wange, die ich ihr huldvoll hinhalte. Dann sagt sie einen vertrackten Satz: “Ich weiß, dass du mich liebst, weil ich mir dessen gewiss bin.”

 

Hanswerner Herber

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