…lernen wir – non scholae, sed vitae discimus.
Der Satz war mir schon als Schüler suspekt, der moralische Zeigefinger der Lehrer unübersehbar. Als ob ich jemals etwas in der Schule über das Leben gelernt hätte! Hab‘ mir das Wesentliche selbst beigebracht: in der ersten Klasse „Wie komme ich schnellstens und sicher nach Hause“, in der dritten Klasse „Wie komme ich möglichst spät nach Hause und welche Märchen würde man mir glauben“. Geholfen hat mir dabei meine private Lektüre in der fünften und sechsten Klasse: Achill, Odysseus, Prinz Eisenherz, Old Shatterhand und Kara Ben Nemsi. Als Quartaner hatte man mich in ein Internat in Holland geschickt. Das hat sich günstig ausgewirkt auf das Studium von Fahrplänen, der Programme von Bahnhofskinos und des Tauschhandels mit unanständigen französischen Postkarten. In der Mittelstufe war ich bekennender Halbstarker – so hieß das damals – und hatte es endlich geschafft der Schule verwiesen zu werden. Das führte mich zurück in die Stadt und in die glorreiche Zeit der Oberstufe, in der ich lernte, dass sich die Kenntnis von Ovid, Platon, Thukydides, Sartre und Alan Ginsberg entre autre äußerst positiv als Eintrittsbillet bei Renate, Anne, Marlies und einigen Bärbels erwies.
Nicht, dass ich den Lehrstoff jemals verschmäht hätte, im Gegenteil, aber das Leben hat es mich nicht gelehrt. Und gelernt habe ich für die Schule, was blieb mir auch anderes übrig. Richtig empört war ich dann, als ich feststellen musste, dass der oben angeführte Lehrerspruch eine Perversion im wahrsten Sinne des Wortes ist. Tatsächlich war es Seneca, der in seinen Briefen an Lucilius feststellte: „Leider lernen wir nicht für das Leben, sondern für die Schule.“ Und so richtig empört war ich, als mein Lateinlehrer das Seneca-Original gar nicht kannte.
Wie es weiterging? Die nächsten gut 20 Jahre habe ich erfolgreich auf meine Krise hingearbeitet, indem ich glaubte, das Leben dahingehend instruieren zu können, wie es abzulaufen habe. Dann wurde ich doch sehr deutlich damit konfrontiert, wer Lehrer und wer Schüler ist. Das tat weh, war aber heilsam. Seither versuche ich ein Übersetzer zu sein, wenn Leute in ihrem Leid kommen und sich noch schwer damit tun die Lektionen des Lebens als solche zu begreifen.
„individuatio“ meets „symbolon“
In der Zeit traf ich Peter, zunächst in seinen Büchern, dann persönlich. Und obwohl die Begegnungen selten waren, gab es doch ein unmittelbares Verstehen und ein aufeinander Einschwingen. Das hat dazu geführt, dass wir in unserem Verständnis von einer Anwaltschaft für die Seele die bisherige Zusammenarbeit noch ausgeweitet haben. Es beginnt in unseren Räumen in Borchen sowohl eine Aufstellungsausbildung sowie eine neue Serie von Aufstellungen zum Thema Bewegungen der Seele. Und ich freue mich darauf.
Feriae sunt
Wer immer einen Anwalt und Übersetzer sucht, ist herzlich eingeladen, diese Schule aufzusuchen, in der immer Ferien sind.
Hanswerner Herber