Spartoi – und was sie mit Frau Weidel zu tun haben
Die Spartoi (altgriechisch Σπαρτοί) sind die “Ausgesäten”. Drachenzähne in Reihe in die Ackerfurche gestreut. Der Sämann hieß Kadmos.
Warum tat er das? Wer kommt schon auf die Idee Drachenzähne zu säen? Und überhaupt: Drachen gibt es ja nur im Märchen.
Und im Mythos. Und der Mythos bildet vor-denkliche Wahrheiten uranfänglicher Geschichten ab, “verdichtet” dieses Wissen gleichsam, ist das Gegengewicht zum Logos der Philosophen. Immanuel Kant fordert für eine “Neue Mythologie der Vernunft”: „Die Philosophie muss mythologisch werden, um die Philosophen sinnlich zu machen“.
Hier kommt ganz sinnlich erzählt die Geschichte von Kadmos, ohne den es Ödipus nicht gäbe und dessen Geschichte (die aus vielen Geschichten besteht) hat einen “Sinn”, nämlich die “Aufhebung der Aporie (ratlos, ausweglos) zwischen Autochthonie (selbst aus der Erde hervorgegangen) und zweigeschlechtlicher Fortpflanzung” (Lévi-Strauss).
Gemach! Wir werden die Geschichte von Beginn an aufdröseln und ganz sicher bei Alice Weidel ankommen.
Auch Kadmos kam nicht aus dem Nirgendwo, sondern hatte einen Papa: Agenor, und der kam aus Phönizien, war König, hatte eine Frau (Telephassa) und eine Tochter und fünf Söhne. Kadmos – wie gesagt – einer davon. Womit kommt jetzt die Geschichte ins Rollen? Cherchez la femme! Genau: damit. Mit der Tochter! Die hieß Europa. Und wenn Europa auf die Weltbühne treten soll, darf Europa nicht in Phönizien verweilen. Merkt auf ihr Väter! Töchter gehen irgendwann aus dem Haus, notfalls auf dem breiten Rücken eines Stieres.
Als Zeus nun mit Europa auf dem Rücken dem Vorderen Orient “Adio” zurief, dann auf Kreta landete und letztlich somit auch – mal ganz vaterländisch gedacht – deutsche Geschichte möglich wurde, schickte Agenor seine Söhne inklusive Gattin aus, sie wieder zu finden oder nicht mehr zurückzukehren. Letzteres traf ein. Es ist schon ein Kreuz mit dem Konzept der Zugehörigkeits-identität. Manche Migranten wollen einfach nicht zurück. Gut so! Weiß Gott, wo wir heute wären!
Nun, die Ausgeschickten landeten zunächst auf der heutigen Insel Thira (Santorini), stifteten Heiligtümer, brachten den Bewohnern das Alpha und das Beta bei – weiß doch jeder, auch die 1. Strophe des Deutschlandliedes kommt aus den phönizischen Schriftzeichen. Auf Thassos gründeten sie die gleichnamige Stadt. Dann ging es weiter nach Thrakien. Hier stirbt die Mama und Sohn Phineus bleibt in Thrakien. Die Suche bleibt erfolglos. Phoinix und Kilix kehren nach Phönizien zurück; Kadmos aber machte sich auf den Weg nach Delphi, um das Orakel zu befragen. Er bekam die Weisung die Suche zu beenden und stattdessen nach einer weißen Kuh Ausschau zu halten, ihr zu folgen und dort, wo sie sich niederließ, eine Stadt zu gründen: Kadmeia, das spätere Theben. Nach getaner Arbeit war Kuh durstig. Nahebei befand sich eine – ärgerlicherweise dem Ares (Gott des Krieges) heilige Quelle. Sie wurde von einem Drachen bewacht. Drache und Kuh geht gar nicht. Des Kadmos Gefährten zur Quelle geschickt konnten den Drachen nicht von der Idee der Gastfreundschaft überzeugen und wurden ihrerseits gegrillt. Kadmos gelang es nur mit Not, ihn zu töten. Athene – wo immer Ares auch wirkt, ist zum Glück auch die Göttin nicht fern – gab nun Kadmos den Rat, die Drachenzähne in frisch gezogene Ackerfurchen zu streuen. Aus ihnen wuchsen (autochthon) eine große Schar bewaffneter Männer, die auch sofort einander zu bekämpfen begannen, bis nur noch fünf überlebten. Kadmos und diese fünf Ausgesäten (Spartoi) wurden die Stammväter der Thebaner. In der 5. Generation tritt dann – nach Polydoros, Labdakos und Laios – Ödipus auf. Vom Vater schnell als sozial unverträglich identifiziert, wird er gehunfähig an den Füßen verstümmelt und einem Hirten übergeben, der ihn in der Wildnis aussetzen soll. Das Schicksal will es anders. Von einem weiteren Hirten wird er an den Königshof in Korinth gebracht und dort an Sohnes statt aufgezogen. Doch diese soziale Identität allein bindet nicht. Herangewachsen ergreift ihn Unruhe und – Magie des Ortes? Magie des Blutes? – findet sich in Theben wieder. Die Tragödie nimmt ihren Lauf.
Was ist nun mit unserer Identität schaffenden Zugehörigkeit? Besteht ein Gegensatz zwischen der Zugehörigkeit des Topos und der Zugehörigkeit des Genos? Ergänzen sie sich? In der Kadmos-Geschichte wird die Zugehörigkeit zum Ort in die genealogische Kette mit einbezogen bzw. mit ihr gleichgesetzt. In der Ödipus-Geschichte werden dem Neugeborenen die Fußsehnen durchtrennt und er wird im waldigen Gebirge ausgesetzt. Nicht mehr zur Eigenbewegung fähig regrediert er – Metapher des Autochthonen – quasi auf das Niveau einer erdgeborenen Pflanze, bevor er – gerettet von den Hirten – zum großen Wanderer (Theben, Kithairon, Korinth, Kolonos) wird, zum Migranten, unser aller Verwandter.
Man kann Blut und Boden natürlich auch anders her leiten. Hatten wir schon, haben wir schon … wieder.
Na dann! Viel Spaß mit dem Bild des autochthonen Deutschen als fest verwurzelte Eiche in vaterländischer Erde und einem gütigen Wind und dem ein oder anderen Bienchen, das den Fortbestand garantiert.
Allerdings: was der Wind so alles mit sich bringt, dessen kann man sich nicht sicher sein…
Also, die Reihen fest geschlossen! (A. H.W.-Lied)
Hanswerner Herber