„Malt mal die Bläue des Meeres!“
Dieser Satz einer Malerin, Kunstpädagogin und -therapeutin am Ostersee im ersten Jahr des neuen Jahrtausends, in dem ich mir eine Auszeit nehmen musste, hatte einen Prozess in Gang gesetzt, der bis heute nachwirkt: die Freiheit tiefste Empfindungen in ihren Wechselwirkungen gestaltend abzubilden.
Geprägt von einer griechischen Mutter und den Bildungsidealen des humanistischen Gymnasiums waren Ordnung, Symmetrie und Regelmäßigkeit bei den Griechen Ausdruck der geordneten objektiven Beschaffenheit der Welt. Da es sich um göttliche Eigenschaften handelte, waren sie somit schön und damit auch gut und wahr. Heute hingegen sind Ordnung und Regelmäßigkeit nicht mehr vorgegeben, sondern Elemente der Gestaltpsychologie. Damit entsprechen sie dem subjektiven Bedürfnis nach Klarheit, nach erkennbaren und lokalisierbaren Strukturen, die es ermöglichen sich im Raum zu orientieren.
Beim Malen erlebe ich diese Verortung im Raum als ein Schöpfen aus dem, was gerade da ist. Im Fortgang – procedere – der Arbeit leitet mich die Neugier am Entdecken von Strukturen, Materialien und Räumen, die aus Farben, Kontrasten, Gesten entstehen. Das, was sich daraus ergibt – das jeweilige Ergebnis – wurde anfangs immer wieder auch als „Fehler“ wahrgenommen, Ausdruck erlernter Sehgewohnheiten und dozierten Kunstverständnisses. Meine Großmutter pflegte gerne zu sagen: „Probieren geht über Studieren“. Recht hatte sie. Mit dem zunehmenden Mut solche „Fehler“ stehen zu lassen und sie als Ausgangspunkt des nächsten Arbeitsschrittes zu integrieren, entstand eine mitunter rauschhaft erlebte dialogische Freiheit des Gestaltens.
„Wir wollen den Rausch, wir rufen den Gott“, schrieb Gottfried Benn. Wie Friedrich Nietzsche beschreibt er damit die Rechtfertigung der Welt und jeder Wissenschaft durch die Kunst, die sich gründet im Werden des Seins aus einem Urgrund heraus, der in sich „Urschmerz“ oder Taumel ist und so Apollos lichtes Universum der Formen und Ideen ergänzt.
So ist es die „verborgene Harmonie“ (Heraklit), die wirkmächtiger ist als die „offensichtliche“ und die Erkenntnis, dass das Gleiche, das Identische des Lebens sich in dessen ewigen Veränderung gestaltet. Das Ästhetische lebt von diesem Wandel der affektiven Formen und Farben. Im informellen Malen will ich diese inneren Wirkkräfte durch spontanes Gestalten hervorbrechen lassen, in dem sich das Unbewusste äußert.
Mit dem Gebrauch von Leinwand, Steinpapier, Holz als Grundfläche, von Acryl, Tusche, Kreiden, Beize oder Schellack als Malmittel, sorgt die sich einstellende affektive Dynamik des Eindrucks für das Erscheinen des Gefühlsraums, der in der Projektionsfläche des Malgrunds zum Ort wird.