Namenstage wurden in meiner Kindheit nicht gefeiert, es sei denn kollektiv am 28. Dezember. Es gehörte zu den Familientraditionen, dass mein Vater grinsend seinen vier Kindern einen „Herzlichen Glückwunsch zum Namensfest“ entbot. Die Kirche feiert den Tag der unschuldigen Kinder als liturgischen Gedenktag am 28. Dezember und soll an das Hinschlachten der unter zweijährigen Knaben in Bethlehem erinnern. Der dort ansässige Herodes, von Rom als König über Judäa eingesetzt, soll die Prophezeiung eines künftigen Konkurrenten so nervös gemacht haben, dass er den Kindermord befahl. Historisch ist zwar bekannt, dass er seine zwei ältesten Söhne hinrichten ließ, aber ein Kindermord – es kursieren Zahlen von 14.000 bis 144.000 ermordeter Knaben – lässt sich nicht belegen.
Das zugehörige Mythem ist uns bekannt, Kronos, der seine Kinder verschlingt, Kamsa, der Krishna nicht verhindern kann, Laios, der seinen Sohn Ödipus umbringen lassen will, und letztlich von diesem erschlagen wird, Artus und Mordred, sind nur einige Beispiele.
Im Brauchtum wurde das „festum puerorum“ auf dem 6. Konzil von Konstantinopel (680) verboten, weil sich dieses „Fest der Kinder“ mit einem „Narrenfest“ verbunden hatte, das möglicherweise in der Tradition orientalischer Narrenkönige, den römischen Saturnalien stand. In Teilen Österreichs gibt es den Brauch noch, Kinder an diesem Tag die Erlaubnis zu erteilen, den Erwachsenen durch Rutenschläge Glück und Gesundheit fürs kommende Jahr zu bringen; dazu sagen die Kinder beim Schlagen, Verse auf, und erhalten als Dank von den somit „gesegneten“ Erwachsenen kleine Geschenke oder Geld. In Spanien und Teilen Südamerikas hat er sich bis heute gehalten. Dort ist der Día de los Santos Inocentes der Anlass, seine Mitmenschen zu veräppeln, wie man es bei uns am 1.April tut.
Kehren wir zurück zum Grinsen des Vaters. Bis heute versuche ich seiner Qualität nachzuspüren. Während die jüngeren Geschwister je nach Alter die Augen verdrehten, glucksten oder vor Vergnügen krähten, war ich wie gebannt, hatte das Gefühl Mitwisser zu sein und gleichzeitig saudumm auszusehen, versuchte zu verstehen. War es spöttisch, dieses Grinsen? Sarkastisch? Sardonisch? Doch eher zwinkernd, verschwörerisch? Warum war es nicht einfach nur ein Lächeln? Janusköpfig, einerseits geprägt durch preußisch-wilhelminische Eltern, andererseits stark genug für einen Neuaufbau nach Völkermorden und Materialschlachten, kollektiv noch gefangen in der Angst, die Macht abgeben zu müssen, aber doch wieder so bewusst, alten autoritären Strukturen, traten sie denn anmaßend, pompös oder ex cathedra auf, eine lange Nase zu zeigen.
Sagte dieses spöttische Grinsen: Sieh her! Jederzeit hätte ich es wie Herodes machen können, aber ich tat es nicht. Ich bin nicht Abraham, der seinen Sohn auf den Altar legte und bereit war, das Schlachtmesser in die Hand zu nehmen. Ich bin ein Mann. Ich habe den falschen Vätern abgeschworen. Ich zeuge Leben und ich erhalte es. Wenn du ein Mann werden willst, wirst du eines Tages mir „Nein!“ sagen müssen. Mein Spott ist ein milder Spott. Er wird dir helfen, dich gegen mich zu erheben. Er wird dir helfen, eines Tages zurückzukehren.
Denkt nach, Männer!
Hanswerner Herber